Die folgende Geschichte dreht sich um Mutter Keke, Ihre vier Töchter Bopaki (6), Khabane (11), Lipollo (13) und Morongua (17).
Bei unseren regelmäßigen Besuchen bei den Fast 11 (der Fuball und Netball Club im Township Nomzamo) hatten wir die Mächen schon ein paar Mal gesehen, ohne dass Sie uns in der Masse der Kinder besonders aufgefallen wären. Erst Ende April, im Laufe eines Gesprächs, das Steffi mit einigen der Mädels zum Thema Schule führte konnte die 13-jährige Lipollo nicht mehr an sich halten. Steffis Frage wie es denn bei Ihr in der Schule liefe endete tränenreich und schluchzend in Steffis Armen. Sie erzählte uns, dass sie seit fünf Jahren nicht mehr zur Schule ging und es Ihr Traum wäre endlich wieder dorthin zurückzukehren. Gleiches gelte für Ihre drei Schwestern.
Wissend, dass am Kap Schulpflicht herrscht, die mitunter auch durchgesetzt wird, trauten wir unseren Ohren nicht.
Zwischenzeitlich hatten sich Lipollos Schwestern zu uns gesellt und unsere Verwirrung nahm von Minute zu Minute zu.
Alle vier sind offensichtlich sehr gut erzogen, sicher im Auftritt, weltoffen, freundlich und sprechen isiXhosa und Englisch gleichermaßen fließend.
Nichts davon passte zusammen, bis wir nach einigen Treffen, auch bei den Kindern zu Hause, mit Themba (unserer Fast 11 Vereinsvorstand und Cheftrainer) und Keke (der Mutter) gesprochen hatten und die Zusammenhänge verstanden:
Keke hat studiert und einen Bachelorabschluss mit Auszeichnung in „public administration“. Sie arbeitet im Accounting für die Regierung des Western Cape, verdient ein weit überdurchschnittliches Gehalt und lebt doch in einem sehr einfachen Haus im Township.
Ihr Mann, mit dem sie glücklich verheiratet war, war selbstständig im Bausektor, die Familie lebte zuvor in einer guten Gegend und die Kinder gingen auf eine Privatschule, wo sie hervorragende Noten schrieben.
Doch dieser Traum endete jäh. Die Firma Ihres Mannes ging insolvent, Ihr Haus war nicht mehr ihr Haus, der Mann (ließ die Familie im Stich) und der Berg Schulden, den er hinterließ war nun ihrer.
Die Mädchen konnten nicht mehr zur Schule gehen (weil kostenpflichtig) und die fünf zogen um ins Township.
Gemeinsam beschlossen sie, in jedem Fall zusammenzubleiben und Kekes Einkommen für die Tilgung der Schulden einzusetzen. Daran trägt sie bis heute.
Ein Versuch die Kinder in einer staatlichen Schule einzugliedern schlug fehl, weil sie übelst gemobbt wurden. Wenn man die Verhältnisse kennt, kein Wunder, denn diese vier sind anders.
Sich als Einzelkämpferin durchschlagend ging Keke ungefähr zu dieser Zeit die Energie aus. Während sie also alle Kraft darauf verwendete, die Familie zu ernähren und ein sicheres Dach über dem Kopf zu gewährleisten, geriet der Wunsch der Kinder zur Schule zu gehen unter die Räder.
So beschlossen sie, ihre schulische Ausbildung selbst zu organisieren. Keke druckte Lehrpläne und alle möglichen Unterlagen aus dem Internet aus und die heute 17-jährige Morongua übernahm den täglichen Unterricht für sich und ihre drei Schwestern.
Das machen sie nun seit fünf Jahren so, tagein tagaus. Keke erzählte uns, dass die Kinder nicht ein einziges Mal nicht zu Hause waren, als sie von der Arbeit kam. Rumhängen auf der Straße kam für sie nicht in Frage, auf Ihre Mädels konnte sie sich immer verlassen. Deren alltäglicher Zufluchtsort am Nachmittag waren die Fast 11. Dort wusste die Netball Trainerin zwar um die Geschichte der Kinder, erzählte aber Themba nichts davon.
Als er kürzlich endlich davon erfuhr trennte er sich sofort von der Trainerin, schlicht weil sie offenbar nicht verstanden hat, dass es bei den Fast 11 nicht in erster Linie um den sportlichen Erfolg geht, sondern vielmehr darum den Kids Halt zu geben, Werte zu vermitteln und sie in ihrem tristen Alltag zu unterstützen. Thembas erste Reaktion war dann wenigstens die kleine Bopaki für die erste Klasse im nächsten Jahr anzumelden. Für sie war es noch nicht zu spät. Dann wollte er uns davon erzählen, doch Lipollo kam ihm zuvor.
Der Gedanke, dass vier derart schlaue Kinder nicht zur Schule gehen konnten und unverschuldet aller Chancen beraubt werden sollten, fanden wir unerträglich. Also begannen wir uns zu informieren.
Zu viele Menschen hatten hier zu lange weggesehen, in diese Schlange wollten wir uns nicht einreihen.
Wir erfuhren, dass dies ein klarer Fall für einen Social worker sei. Wären wir diesen Weg allerdings gegangen, hätte das dramatische Konsequenzen für den Zusammenhalt der Familie und für Keke persönlich gehabt. Zu allem Übel wäre sie zusätzlich bestraft worden und auch für ihren Job bei der Regierung wäre das nicht folgenlos geblieben. Beides wäre das Letzte gewesen was wir wollten, hätte es die Kinder doch noch tiefer in die Hoffnungslosigkeit gestürzt.
Der südafrikanische Staat bietet in solchen Fällen keine andere Möglichkeit, als eine dreizehnjährige in die zweite und eine fast Erwachsene und blitzgescheite junge Frau in eine fünfte Klasse einer Grundschule zu setzen, in der sie sang und klanglos untergehen. Gleiches gilt in ähnlicher Form für ihre Schwestern. So machten wir uns schlau welche anderen Möglichkeiten es geben könnte und erzählten Thinus davon, einem Freund, Anwalt und Menschenrechtsaktivisten. Der war sofort Feuer und Flamme und schon drei Wochen nachdem Lipollo uns ihre Geschichte erzählt hatte, stand am 20. Mai unser gemeinsamer Plan.
Der Plan ist teuer, aber aus unserer Sicht alternativlos, weshalb wir beschlossen, sofort loszulegen, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren.
Dabei ist uns wohl bewusst, dass wir damit gegen unseren eigenen Grundsatz verstoßen, keine individuelle Unterstützung bei Einzelschicksalen zu gewähren und uns stattdessen auf Projekte zu konzentrieren die ganzen Gemeinschaften zugutekommen. Wir tun das fest im Glauben daran, dass Ihr dafür Verständnis habt und Euch auch selbst nicht einfach abgewandt hättet.
Seit dem ersten Juni gehen nun alle vier auf eine Privatschule. Die nimmt die Mädchen auf, holt sie dort ab, wo sie entwicklungstechnisch und bildungstechnisch stehen und sorgt dafür, dass sie Ihre Abschlüsse machen können.
Die Schulausrüstung sowie die vorgeschriebenen Computer (gebraucht) sind beschafft, der Schulbus bis zum Jahresende und das Schulgeld für den Rest dieses Jahres ist überwiesen.
Seit Wochen gibt es in der Familie kein anderes Thema mehr, die Mädchen können es kaum abwarten und sind außer sich vor Freude. Keke ist einfach nur voller Dankbarkeit und voller frischem Lebensmut.
Eine tiefe Erschöpfung, erdrückt von der Last der Arbeit und der alleinigen Verantwortung, ist gewichen.
Es ist unglaublich zu sehen, wie diese Frau aufblüht, wie ihre Kraft zurückkommt, nur weil Sie weiß, dass sie den Rest des Weges nicht allein gehen muss.
Thinus hat mir ihr vereinbart, dass sie nach einem Jahr der Eingewöhnung in die neue Situation und der mentalen Erholung auf Ihren Bachelor aufbaut. Ein Mastertitel wird ihr im Beruf neue Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten eröffnen und damit die Möglichkeit selbst noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Die Idee ist Keke stark zu machen und sie als Rollenvorbild für andere meist hoffnungslose Solomütter aufzubauen. Sie ist mehr als Willens, Ihre Erfahrung in die Gemeindearbeit einzubringen. Sei es nun bei den Fast 11, über die sie und Ihre Kinder Hilfe erfahren haben, oder über andere Wege und Kanäle.
Diese Geschichte hat viele Herzen erweicht und wir haben es an zwei Tagen geschafft, den Kindern Onkels, Tanten, Opas, Omas, Uropas, Uromas, Paten oder was auch immer zu vermitteln.
Für Eure Menschlichkeit und Eure Bereitschaft mit denen zu teilen die Hilfe brauchen, um Ihr Potential entfalten zu können danken wir Euch wie immer von ganzem Herzen.